Pic – or it didn't happen!

Sinnhaftigkeit ausgelagert in Warenkonsum. Selbstvergewisserung durch Selfies. Der moderne Mensch in der Expressions-Krise.

Konsum als Sinnstifter und Distinktionsmerkmal prägt die postindustrialisierte Welt des Kapitalismus nach Thatcher. Wer wir sind, scheint bestimmt von dem, was wir besitzen – sicher auch Weisheit oder Arroganz, Selbstvertrauen oder Kenntnisse, mehr aber noch Wellnesswasser oder Tamagotchi, Fixi oder Reihenhaus.

Ich habe ein Kleid, also bin ich.


Zeugte das Auto einer Nobelmarke vor der Tür noch vor wenigen Jahrzehnten von Kaufkraft, stand also in jedem Sinne für Potenz, steht das elektronische Verwaltungsgimmick Smartphone für den manipulierten Selbstentwurf und zeigt in erster Linie, wer wir sein wollen.

Ich habe ein iPhone, also schätzt mich.

 

Mitmachen. Dazugehören. Ich bin, weil ich kaufen kann. Doch Kaufen alleine genügt nicht, das Zeigen gehört dazu. Das wiederum ist nichts Neues. Neu ist alleine die leichte Verfügbarkeit über Mittel und Vertriebsweg. Ließ sich früher der ägyptische Herrscher übergroß in Stein meißeln, der Landesfürst vom Malerfürsten auf die Leinwand schmeicheln oder die Familie des 19. Jahrhunderts vom Wanderfotografen für nachfolgende Generationen vor Haus oder Hof porträtieren, sind heute Selfies mit wenigen Wischern (die Nachfolge der Klicks) in den Sozialen Medien eingestellt.

 

Ich bin auf Facebook, Instagram oder Pinterest, also seht mich.

 

Macht meine Existenz sinnvoll und liked. Die Fotos meiner Einkäufe, die Fotos meines Partyoutfits oder die Fotos meines Mittagssnacks. Fotos – manche meinen, sie besäßen die Macht Schönes, Wichtiges, Fragiles, Flüchtiges oder Kostbares festzuhalten, sie seien Abbild einer Wirklichkeit. Und stellen sich in Pose. Inszenieren, was so nie war und nie zu sehen sein wird. Sie erfinden die Illusion der Realität. Manchmal gelingt das Wunder und auf dem Foto ist etwas Kostbares wie Wahrheit oder Emotion zu entdecken, die eine Wahrhaftigkeit besitzen im Moment des Betrachtens. Meistens aber zeigen Fotos nicht, was ist. Sie zeigen, was gesehen werden kann. Und unweigerlich zeigen sie, was nicht mehr ist. Obwohl sie die Gegenwart perpetuieren sollen, sind sie vielmehr Verweis auf Vergängliches. Der Moment lässt sich nicht festhalten und das fotografische Bild ist der Beweis. Das, was da zu sehen ist, existiert nicht mehr, war vielleicht nie. Und weil der Verlust der Gegenwart so schmerzlich ist, muss er stets mit einem neuen Fotodokument bekämpft werden. Wie sagte eine Freundin: Wenn du noch Bilder von dir willst, dann mache sie jetzt – in fünf Jahren wirst du nicht mehr so gut aussehen wie heute. Der Blick zurück als Option auf die Gegenwart.
Was ich bin, bestimmt sich durch das, was ich war.

Seht her! Das war einmal ich. Sätze, die verkennen, dass weder das Foto ein wie auch immer geartetes "Ich" abbildet, noch den Umstand, dass sich ein "Ich" als wandelnde Konstante verhält. Die Fragen, die sich mir stellen, sind die nach der Lücke, der Fehlstelle, die diese Bilder (wie auch der Konsum verschiedenster Waren und Dienstleistungen) füllen sollen und die nach dem Bewusstsein darüber. Selbstverständlich habe ich keinerlei Antworten dafür.

Es ist Karneval, Faschingszeit.
Einem Medienbericht zufolge, den ich im Einzelnen nicht mehr erinnere, hat die Maskerade ihren Ursprung darin, dass die frühere hermetische Ständeordnung zu Unmut und Aggressionen führte, die durch die zeitweise Aufhebung von Rang und Pflicht ein handhabbares Ventil finden sollten. Hinter einer Maskerade, einem Spiel mit einem Pseudo-Ich verborgen, ließen sich Wünsche nach Geltung, Ansehen und mitunter auch Triebhaftigkeit ausleben, ohne dafür Nachteile und Sanktion fürchten zu müssen. Heute ist an Stelle der Karnevalsmaske die dauerhafte Kostümierung getreten, die auch außerhalb der Karnevalssaison in die Pflicht genommen wird.

Welchen Authentizitätsanspruch löst das inszenierte Bild ein? Bin ich ein iPhone? Bin ich jung, schlau, hipp, gut angezogen oder potent, wenn ich das Bild davon erzeuge? Ich fürchte, die Antwort auf diese und ähnliche Fragen bleibt trotz photoshopähnlicher Reflexionsoptimierung im Dunkeln eines fehlbelichteten Bildes.

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Kommentare: 1
  • #1

    einewiekeine (Dienstag, 22 März 2016 18:30)

    mag deinen stil auch wenn die texte manchmal schwer verständlich sind (blog)